Kein Zugang Photo M. Holst
Fast Jedem, der den Begriff Freihandel benutzt, scheint völlig klar zu sein, was darunter zu verstehen ist. Das aber erweist sich in den meisten Fällen auch bemerkenswerterweise als Irrtum. Wer über Freihandel nachdenkt, sieht ihn 200 Jahre nach David Ricardos „Grundsätzen“ oft noch genau wie der Klassiker als einen Zustand an, in dem keine Zölle den grenzüberschreitenden Warenverkehr behindern. Das ist nicht nur erstaunlich, weil in der außenwirtschaftspolitischen Praxis Zölle auf Handelswaren nur eine untergeordnete Rolle spielen. Mehr noch erschreckt, dass gegen die jedermann erfahrbaren Fakten die bedeutendsten, wenn nicht gar eigentlichen Außenwirtschaftsaktivitäten ausgeblendet und so der für die korrekte Beurteilung des Geschehens notwendigen Aufmerksamkeit entzogen, im Saldo der Kapitalbilanz verborgen werden. Unsichtbar vollzieht sich dann die Preisbildung für alle außenwirtschaftlichen Finanzmarkt-Aktivitäten. Der Saldo der Kapitalbilanz erscheint als bloßer Reflex des sie determinierenden Standes der Leistungsbilanz.
Die Behauptung, die BIZ sei der Vatikan der Geldwirtschaft, erweist sich als weit weniger übertrieben, als es auf den ersten Blick den Anschein macht.
Im Ergebnis werden damit die grenzüberschreitenden Wirtschaftsaktivitäten, die den Charakter einer Geldwirtschaft determinieren nicht ausgewiesen. In der erlebbaren Wirtschaftswirklichkeit
entscheiden die Akteure im Finanzmarkt als Investoren durch die Quantität und die mehr oder weniger Beschäftigung von Natur und Arbeitskraft verändernde Qualität ihrer anationalen Investitionen
darüber, was in „ihrem“ - gegen nationale Gesetzgebung weitgehend unempfindlichen - Wirtschaftsraum für den Konsum und den
Export und vor allem, mit welchen Kosten und Überschuss produziert werden kann. Auch hier ist die Rede vom freien Markt. Nicht übersehen werden darf: Die Bedingungen des freien Marktes sind in einem
jeden nationalen Gesetzgebungsraum durch eine Ordnung der Wirtschaft gesetzt. Diese Ordnungen sind in den Gesetzgebungsräumen durch Überlieferung unterschiedlich. Allgemein werden sie als Korrektur
der Kräfte am freien Markt intendiert. Sie sollen die Ergebnisse freier Konkurrenz mit der im Gesetzgebungsraum herrschenden Vorstellung von Gerechtigkeit vereinbar machen. Insbesondere gilt das
bezogen auf den Grad der Regulierung oder des Einflusses auf die wirtschaftlichen Entscheidungen der Investoren. Die Investoren können jedoch, wenn sie in verschiedenen Gesetzgebungsbereichen aktiv
sein können ihrerseits, die Gesetzgeber einer Konkurrenz aussetzen. Sie haben meist mehrere Standorte zur Auswahl und entscheiden sich für den, wo ihnen zum Beispiel am wenigsten Steuern und Gebühren
abgefordert werden und sie die höchsten Subventionen erhalten. Über längere Fristen kann deswegen eine vereinheitlichende Anpassung aller Ordnungen auf einem niedrigen Niveau der Intervention
erwartet werden. Die Unternehmensentscheidungen sind dann im hohen Grade frei von staatlich korrigierenden Eingriffen. Sie nennen es freie Wirtschaft. ...
Genua 2001
Europastimmung nach dem Kriege Foto ** *